Wer mich länger online verfolgt, wird mit Sicherheit schon auf meine Floskel Es gibt kein Gothic 4 gestoßen sein. Und eventuell wird er/sie/they sich gedacht haben „Hä? Aber Arcania?“
Und ja, offiziell war Arcania mal Gothic 4, der Titel wurde aber entfernt. Ich unterdessen erkenne dem Spiel den Titel seit Anfang an nicht an. Warum? Das erkläre ich nun ein für alle mal hier im Post.
Ich bin ein Gothic-Fan. Kein Gelegenheitsspieler, der „auch mal Gothic gespielt“ hat – nein, ich spreche von jemandem, der Khorinis wie seine Westentasche kennt, der sich stundenlang mit Dialog-Floskeln der NPCs unterhalten kann und der Mud mehr als nur einmal getöt…ähm ich meine brüderlich umarmt hat. Fragt man mich nach meinem Lieblingsspiel, kommt Gothic 2: DNDR schneller aus meiner Kehle, als die Kugel aus Lucky Lukes Revolver. Ja, sogar schneller als der Höhepunkt eines durchschnittlichen, selbsternannten Alpha-Males.
Und doch bin ich als ein eben solcher Fan anfangs bei der Ankündigung des Spiels reingefallen. Denn als Arcania – damals noch mit Gothic 4 im Titel – angekündigt wurde, war ich vorsichtig optimistisch. VORSICHTIG; Denn natürlich war ich unglücklich darüber, dass das Spiel nicht von meinen geliebten Jungs von Piranha Bytes kommen würde, sondern von Spellbound. Doch ich hatte noch Hoffnung. Denn Spellbound hatte ja durchaus auch gute Spiele im Sortiment, wenn auch keine riesigen AAA-Titel.
Die ersten Screenshots und Alpha-Videos sahen auch soweit gut aus – abgesehen davon, dass man einen neuen (zumindest wieder namenlosen) Helden spielen sollte. Aber okay, solange er noch das gute alte Volles-Pfund-aufs-Maul-Feeling rüberbringen konnte, why not? Grafisch war das Material auf jeden Fall erstklassig (für seine Zeit).
Doch dann kam der Release. Und ich merkte schnell: Arcania hat mit der Seele von Gothic ungefähr so viel zu tun, wie ein Maggi-Tütengericht mit Omas Sonntagsbraten.
Simpifizierung und Amerikanisierung
JoWood wollte den Namen Gothic groß machen. Neue Märkte erschließen. Denn insbesondere Gothic 1 & 2 haben ihre Fanbase zu 90% in Deutschland und Osteuropa (Polen, Ukraine, Russland). In Amerika kamen die Spiele nie gut an. Zu eigen waren die Mechaniken, zu düster und trist die Grafik, zu kernig der Held. Arcania sollte das nun ändern. Also gab es neben einer amerikanischen Farbpalette weitere Änderungen – was an sich gut klingt, ist in seiner Umsetzung leider eine Bruchlandung.
Denn schon in den ersten Minuten des Spiels merkt man: Das hier ist glattgebügelt, streamlined, weichgespült. Es ist voll und ganz auf den internationalen Markt getrimmt. Kein „Volles Pfund aufs Maul“ mehr. Erinnert ihr euch an euren ersten Start in der Minenkolonie, als selbst drei Scavenger zur Gefahr für den Helden wurden? Dieser ständige Zwiespalt zwischen „Oh, cool, eine Höhle – da will ich hin“ und „oh, oh, eine Höhle, da ist bestimmt ein Schattenjäger drin“, welcher die Erkundung der Welt zum Nervenkitzel machte. Das alles fehlt hier.
Denn statt einer gefährlichen, aber dennoch zur Erkundung einladenden Open-World bekommt man hier Schlauchlevel an Schlauchlevel serviert. Voller Standard-Gegner. Statt einer Wegbeschreibung zum Ziel, welcher man genau lauschen musste, gibt es Questmarker. Statt einem fummeligen, aber auch fordernden Kampfsystem, zahlreichen Zaubern und Möglichkeiten sich zu Skillen, gibt es 8 Attribute/Skills, auf welche man Punkte bis zu maximal 16 pro Linie verteilt, an bestimmten Punkten gibt es dann neue Fertigkeiten/Buffs aus dem jeweiligen Zweig. Brauchte man in Gothic 1-3 noch Lehrmeister, um Skills freizuschalten, verteilt man nun die Punkte selbst. Zudem gibt es von der üppigen Anzahl an Zaubern aus der Reihe nur 3. Drei Basis-Zauber, welche sich lediglich verbessern lassen, aber dennoch bleiben es DREI ZAUBER.
Zudem verliert dieser Skilltree schnell an Bedeutung. Im Gegensatz zu Gothic, wo jeder Schritt dein letzter sein konnte, traut sich Arcania nicht, dem Helden weh zu tun. Im linearen Spielverlauf begegnest du stets nur Gegnern, die du zu dem jeweiligen Zeitpunkt auch so lächerlich einfach zu Tode klicken kannst. Ja, zu Tode klicken. Wie in Diablo. Selbst wenn man den Skilltree ignoriert, kann man sich einfach durch die Gegner durchklicken. Zuschlagen, Ausweichen, Zuschlagen. Mehr braucht es in Arcania nicht. Bei JEDEM GEGNER.
Er redet einfach zu viel!
Erinnert ihr euch an eure ersten Momente im alten Lager oder in Gothic 2 in der Hafenstadt? Überall um euch rum laufen die NPCs, tun Dinge, reden miteinander. Die Welt um euch herum lebt. Ihr seid nicht das Zentrum, ihr seid Teil davon. Setzt euch ans Feuer und lauscht dem Alltag, es geht auch ohne euch weiter. Bist du in eine Hütte eingebrochen und wurdest beim Klauen erwischt, gab es Dresche. Liefst du mit gezogener Waffe durch die Stadt, gab es Ermahnungen und irgendwann Dresche. Hast du jemanden angegriffen, gab es – richtig – Dresche.
Arcania hat NICHTS davon. NPCs stehen statisch umher, bis du sie ansprichst (sofern möglich, du kannst nicht mit jedem NPC sprechen). Gehst du in eine Hütte und nimmst Sachen mit – juckt das niemanden. Angreifen kannst du die friedlichen NPCs nicht. Die Welt ist nur Kulisse.
Wie wär’s mit: Deine Mutter trei…nee, das ist nicht angemessen!
Einer der Hauptgründe, warum wir Gothic so lieben, ist der oft sarkastische, trockene Ton des Spiels. Die Dialoge hatten Seele, waren kernig. Der Held war kein glänzender Ritter, den alle verehrten. Er wurde beleidigt, verspottet und bedroht, reagierte aber auch selbst gerne so. Es war ruppig, aber dennoch sympathisch.
Arcania? Ha! Hier reden alle wie generische WoW-Quest-Geber. Selbst die alten Bekannten, wie Diego, Milten und co. sind nichts mehr als Puppen, welche die Namen tragen, sich aber nicht mehr so verhalten wie im Original.
Ein Held von Welt…oder auch nicht
Der Held aus Gothic 1-3 war in dem Sinne kein Held. Insbesondere nicht in Gothic 1. Er war – wie alle anderen in der Kolonie – ein weiterer Gefangener und sein einziges Ziel war es, aus der Kolonie zu entkommen. Die Welt ging ihm am Arsch vorbei, er wollte seinen Arsch retten. Er war eher ein Anti-Held. Oft zynisch und bissig.
In Arcania spielst du…einen Bauern, der seine Verlobte rächen will. Keine Ecken, keine Kanten. Ein leeres Gefäß für generische Power-Fantasy.
Fazit
Am Ende bleibt Arcania…ein Spiel. Als solches ist es okay – aber als Gothic nicht. Gothic ist mehr als nur ein Rollenspiel. Es ist ein Gefühl. Und dieses hat Arcania nicht.
Cheers.
Euer Beriel